Donald Trumps Zölle haben kein Land der Welt unbeeindruckt gelassen, aber nur wenige Staaten haben als Reaktion auf die US-Politik Gegenmaßnahmen ergriffen. Der US-Präsident belegt Autoeinfuhren aus Europa mit hohen Zöllen, Tarife gibt es auch für Stahl und Aluminium, ein Basiszollsatz von zehn Prozent gilt für fast alles andere. Doch Europa hat bisher nicht zurückgeschlagen. Ganz anders China: Es hebt einen Zoll von 147,6 Prozent auf Importe aus den USA ein. Das ist sogar ein etwas höherer Satz als in den USA. In Washington macht sich Tianlei Huang vom Peterson Institute, einem Thinktank, Gedanken dazu.

STANDARD: Wie gut vorbereitet ist China auf einen Zollkrieg mit den USA?



Huang: Zuerst hat mich Chinas Reaktion auf Trumps Zölle überrascht. Ich war der Ansicht, China sei in keiner guten Position, um Vergeltung zu üben. Chinas Wirtschaft schwächelt. Aber inzwischen verstehe ich, warum China die Konfrontation nicht gescheut hat. Ich glaube, sie haben sich schon lange auf diese Auseinandersetzung mit den USA vorbereitet.



STANDARD: Das müssen Sie erklären.



Huang: China hat bereits vor Jahren begonnen, seine Exporte bewusst von den USA weg zu diversifizieren. Vor wenigen Jahren gingen 20 Prozent von Chinas Gesamtausfuhren in die USA. Heute sind es weniger als 15 Prozent. Natürlich wird der Handel umgelenkt: Die chinesischen Exporte gehen nach Vietnam, nach Mexiko und fließen schließlich in die USA. Aber die direkten Handelsverflechtungen sind rückläufig. Und das ist gewollt worden, es war schon Chinas Strategie, eigenständiger zu sein. Man sieht sich in einer systematischen Rivalität mit den USA, die Spannungen hätten wohl auch mit einem anderen US-Präsidenten zugenommen. So sieht man das jedenfalls in Peking. Und dann kam auch noch der Deepseek-Moment.



STANDARD: Im Jänner hat das chinesische Start-up Deepseek ein KI-Sprachmodell vorgestellt, das im Hintergrund deutlich weniger leistungsstarke Chips benötigt als vergleichbare US-Programme. Das ließ die Aktien von US-Technologiekonzernen einbrechen.



Huang: Der Deepseek-Moment hat das Selbstvertrauen der Führung in China enorm gestärkt. Es hat sie glauben lassen, dass sie sich diese Abkopplung von den USA leisten können. Trotz all der bestehenden Restriktionen in den USA, etwa für den Export von Halbleitern nach China, ist es gelungen, Deepseek zu entwickeln. Man sieht Trumps Zölle auch als Schuss ins eigene Knie an und als Chance, andere Länder näher an sich heranzuführen. Deshalb führt China schon eine Charmeoffensive in Südostasien durch. Staatschef Xi Jinping ist gerade durch Kambodscha, Malaysia und Vietnam getourt. Und sie starten auch eine Charmeoffensive in Europa. Sie wollen, dass Europa sich China annähert. Aber natürlich sind viele Länder in Südostasien und Europa besorgt wegen Handelsumlenkungen aus China als Folge des Zollkriegs.

Der Roboter als Haushaltshelfer von morgen? Auf einer Messe für Konsumprodukte in Haikou werben chinesische Aussteller um Kunden.
IMAGO/Sun Xiaotian

STANDARD: Wie sehr hängt Chinas Wirtschaft noch am Exportsektor?



Huang: China ist eine riesige Volkswirtschaft wie die USA. Ein gemeinsames Merkmal riesiger Volkswirtschaften ist, dass sie gar nicht so sehr auf Auslandsnachfrage angewiesen sind. In die Wirtschaftsleistung eines Landes fließen nur Nettoexporte ein, also Ausfuhren abzüglich der Einfuhren. In Chinas Fall beläuft sich der Beitrag der Exportwirtschaft an der Wirtschaftsleistung auf drei Prozent. Die übrigen 97 Prozent bestehen aus Binnennachfrage, Investitionen und Konsum. Klingt überraschend, nicht? Aber wir schauen immer nur auf Chinas gewaltige Ausfuhren, dabei muss man die Zahlen in Relation setzten. Chinas Binnenmarkt mit seinen 1,4 Milliarden Menschen ist über die vergangenen Jahre enorm gewachsen, sodass heute Exporte gar nicht mehr so wichtig sind.



STANDARD: Und wie stark hängen die Chinesen am Geschäft mit den USA?



Huang: Grob gesagt hängen 0,3 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung daran. Natürlich gibt es indirekte Verflechtungen. Wenn die USA als Exportmarkt wegfallen, wird das negative Effekte auf Beschäftigung und Wertschöpfung in China haben. Das Land wird seine selbstgesteckten Ziele von fünf Prozent Wachstum heuer nicht einhalten können, es dürften eher um die vier werden. Das ist aber gar kein so schlechter Wert für China.



STANDARD: Zum Wirtschaftserfolg des Landes haben eine Reihe aufstrebender Konzerne beigetragen. Ein Vorwurf lautet, der Staat bezuschusse diese Unternehmen massiv, weshalb der Wettbewerb mit Europäern und Amerikanern verzerrt wird. Das Gegenargument dazu lautet, dass Chinas Ingenieure einfach gute Produkte entwickeln.



Huang: Ich denke, beide Erzählungen sind richtig. Die staatliche Unterstützung ist definitiv einer der Hauptgründe, warum beispielsweise chinesische Autohersteller wie BYD so erfolgreich sind. China betreibt seit Jahren Industriepolitik. Vor allem auf der Ebene der Kommunalverwaltungen wurden steuerliche Anreize, billiges Land, subventionierte Bankkredite und viele andere Instrumente bereitgestellt, um die Entwicklung der einheimischen Automobilindustrie zu fördern. Dasselbe wurde bei der Batterieerzeugung getan und den gesamten dazugehörigen Lieferketten. Zugleich bin ich Bewunderer des chinesischen Privatunternehmertums. Unternehmen, die das chinesische Wirtschaftswunder der vergangenen Jahrzehnte möglich gemacht haben, wie BYD oder Catl (Batterien) und Xiaomi (Smartphones), sind allesamt private Unternehmen, die im Wettbewerb stehen.



STANDARD: Diese Unternehmen haben also keine Verflechtungen mit dem Staat?



Huang: Diese Schlussfolgerung würde ich auch nicht ziehen. Selbst wenn die Eigentümer privat sind, gibt oft andere Überschneidungen mit der Kommunistischen Partei, etwa in der Unternehmensführung. Einige Automobilunternehmen wie Nio haben auch staatliche Miteigentümer. Ich will nur sagen: Es ist unsinnig zu behaupten, die staatliche Unterstützung sei der einzige Grund für den Erfolg dieser Konzerne. Man hat in vielen Fällen Produkte gekonnt weiterentwickelt und ist so in der industriellen Wertschöpfung aufgestiegen.

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Tinanlei Huang
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STANDARD: Es wird oft gesagt, China habe früh auf zukunftsfähige Technologien gesetzt und diese gefördert, etwa E-Autos. Das ist spannend, weil das alles nach kommunistischen Fünfjahresplänen klingt. Hier aber scheint das aufgegangen zu sein.



Huang: Ja, wobei das System natürlich auch eine riesige Menge an Verschwendung produziert. Es werden gewaltige Ressourcen mobilisiert im Rahmen der Industriestrategie „Made in China 2025“, um Schlüsseltechnologien aufzubauen. Manches hat geklappt, anderes nicht: China wollte auch Champion beim Bau von Halbleitern werden. Geworden ist daraus bisher nichts.



STANDARD: Wird es für westliche Firmen in China künftig einen Platz geben? Warum sollten Chinesen noch deutsche Autos wie VW kaufen?



Huang: Den Platz gibt es. Nicht jeder will ein Elektroauto kaufen, manche tun es nur, weil ihr Kauf gefördert wird und man so leichter an Nummernschilder kommt. Bei Verbrennern ist dieser Prozess komplexer und kostspielig. Aber die Menschen in China haben unterschiedliche Geschmäcker, und es wird Leute geben, die weiter Volkswagen erwerben werden, weil das gute Autos mit einem guten Ruf sind. In China gibt es immer wieder nationalistische Kampagnen, die auch das Wirtschaftsleben betreffen. Auf der anderen Seite fährt der Staat Kampagnen, um ausländische Investitionen anzuziehen, die man für wichtig erachtet. Es ist ein Land voller Widersprüche.



STANDARD: Es gibt Schätzungen, dass in wenigen Jahren fast die Hälfte der weltweit produzierten Industriegüter aus China stammen wird. Wie sollten wir darüber denken? Ist das Segen oder Fluch?



Huang: China produziert viel und tut das zu niedrigen Kosten, wovon Verbraucher in Amerika und Europa profitieren. Aber ich verstehe auch die Bedenken. Das ist einer der Hauptgründe, warum Trump gewählt wurde. Die Menschen, die in den USA wegen des China-Schocks, also wegen der steigenden Konkurrenz durch chinesische Mitbewerber, Wohlstand verloren haben, wurden nicht sehr gut entschädigt. Der China-Schock war in einigen Regionen sehr stark konzentriert. Laut der ökonomischen Theorie hätten betroffene Arbeitnehmer einfach woanders hinziehen sollen, aber die Mobilität der Arbeitskräfte ist selbst in Amerika beschränkt.



STANDARD: Was folgt daraus?



Huang: Für die USA ist der einzige Weg, in der Wertschöpfungskette weiter aufzusteigen. Das gelingt dem Land schwer, und einer der Gründe dafür ist die mangelhafte Ausbildung vieler Arbeitnehmer. Vor demselben Problem steht übrigens China auch. Ein Teil der Produktion ist nach Südostasien verlagert worden, chinesische Arbeiter, die früher in Fabriken untergekommen sind, müssen sich nun selbst weiterbilden. China hat das erkannt und große Umschulungsprogramm angekündigt. In den USA fehlt so etwas bisher. (András Szigetvari, 24.4.2025)