Der tiefe Graben

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Die ehemaligen Großparteien ÖVP und SPÖ tun sich sichtlich schwer mit der Ansprache eines zunehmend gespaltenen Wahlvolks. Das liegt auch an ihrem eigenen Personal.

Der fünfte Platz konnte dann doch nicht ohne personelle Konsequenzen bleiben. Die ÖVP, der bei der am Sonntag geschlagenen Wien-Wahl bereits im Vorfeld ein ordentliches Minus vorhergesagt worden war, kam sogar noch unter den Prognosen und damit hinter SPÖ, FPÖ, Grünen und Neos zu liegen. Spitzenkandidat Karl Mahrer zog sich bereits am Folgetag als Wiener Parteichef zurück.

Damit reiht sich Wien ein in den Abwärtstrend, den die Volkspartei nun in den Städten erlebt. Sonderlich erfolgsverwöhnt war sie vor allem in Wien freilich nie. Doch die jüngsten Verluste in Graz, Salzburg, Linz und Dornbirn sowie der Absturz in Innsbruck und das jüngste Debakel in Wien offenbaren ein veritables politisches Dilemma, dem die SPÖ wiederum zunehmend in ländlichen Regionen gegenübersteht: Wie soll die Ansprache einer Bevölkerung gelingen, die je nach Wohnort zunehmend andere, beinahe gegensätzliche politische Bedürfnisse zu haben scheint?

Während es tendenziell jüngere, liberalere Menschen in die urbanen Bereiche des Landes zieht, wohnen konservativer eingestellte Personen eher im ländlichen Raum. Ihre Aufnahmebereitschaft für jeweils anders ausgerichtete politische Inhalte scheint dabei ebenso zurückzugehen wie die eigene Flexibilität beim Wählen. Hört man in die beiden ehemaligen Großparteien hinein, scheint das Problembewusstsein für diesen Umstand immerhin vorhanden zu sein. Eine Lösung hat man hingegen noch nicht parat.

Eingeräumt wird (jedoch nur hinter besonders sorgfältig vorgehaltener Hand), dass das freilich auch mit dem eigenen Spitzenpersonal zu tun hat. Es sei beinahe unmöglich, eine Person für die erste Reihe zu finden, die in den Städten als urban-liberal wahrgenommen wird und in ländlichen Regionen gleichzeitig als konservativ-pragmatisch. Sozial talentierte Charismatiker, die auf einer Abendveranstaltung auf der städtischen Universität genauso reüssieren können wie am Stammtisch eines 100-Seelen-Dorfes, fallen den Parteien nur selten in den Schoß.

Der ÖVP ist das mit Sebastian Kurz kurzzeitig passiert. Durch Alter und Sprechweise vermochte er urbane Wählerinnen und Wähler ebenso anzusprechen wie die ländliche Bevölkerung, die das Image des perfekten Schwiegersohns schätzte. Die SPÖ erinnert sich hier mit Wehmut (und einer gehörigen Portion Verklärung) an ihr Idol Bruno Kreisky, den man bis heute als sozialdemokratisches Ausnahmetalent verehrt.

In eben dieser Erkenntnis, wie wichtig eine authentische Frontfigur an der Spitze einer Partei ist, liegt aber auch eine Chance, die Gräben zwischen Stadt und Land politisch überbrücken zu können. Gelingt es den Parteien einerseits, eigenes Potenzial früh genug zu erkennen und zu fördern, und andererseits die eigenen Reihen durchlässig genug zu gestalten, dass talentierte Quereinsteiger eine Chance haben, können frische Gesichter den Drahtseilakt zwischen Stadt und Land angehen. Irgendjemand muss es tun.

Original Quelle + Bild:

neue.at

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