Wird Teilzeit das neue Vollzeit? Der Trend geht in die Richtung, vor allem bei Frauen. Mehr als die Hälfte der berufstätigen Frauen in Österreich arbeitet mittlerweile in Teilzeit. Konkret waren es im Vorjahr 51,1 Prozent, das zeigen die Zahlen der Statistik Austria – bei Männern sind es hingegen lediglich 13,7 Prozent. Der Grund ist immer gleich: Frauen übernehmen einen weit größeren Teil der familiären Betreuungspflichten, sind sich Experten von AMS, Wirtschaftsforschungsinstituten und Arbeiterkammer (AK) einig. Die Quote ist seit 2010 allerdings bei beiden Geschlechtern deutlich gestiegen. Zugleich nimmt fortlaufend aber auch die Anzahl der Beschäftigten im Land zu.

Einer, dem der Status quo sauer aufstößt, ist Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV): „Es werden rund sechs Prozent weniger Arbeitsstunden verrichtet als 2019. Das heißt, die Lohnsumme und somit die Kaufkraft der Bevölkerung liegen real weitaus niedriger, als es möglich wäre, hätte man das Prä-Covid-Arbeitsvolumen aufrechterhalten“, sagt Helmenstein zum STANDARD. Es sei notwendig, das Sozialversicherungssystem angesichts der hohen Teilzeitquote „fairer auszugestalten“.

Dass vor allem bei Frauen die Teilzeitquote so hoch ist, liegt praktisch immer an familiären Betreuungspflichten. Ein Klassiker für Teilzeitbeschäftigung ist der Einzelhandel.
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Die „Teilzeitepidemie“

Helmenstein bringt einen kontroversen Vorschlag aufs Tapet, um der „Teilzeitepidemie“, wie er sie nennt, entgegenzuwirken. Er fordert einen Mindestbeitrag zur Sozialversicherung, um Teilzeit unattraktiver zu machen. Gewisse Leistungen sollten zumindest teilweise vom Einkommen entkoppelt werden. Der IV-Ökonom empfindet die sogenannte Beitragsproportionalität bei Krankenversicherung, Unfallversicherung, Arbeiterkammerumlage und Wohnbauförderung als sachlich nicht gerechtfertigt.



Was heißt Beitragsproportionalität? Bei einem Bruttoverdienst von 1000 Euro fällt ein Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 38,70 Euro pro Monat an, bei 2000 Euro ist es doppelt so viel, bei 5000 Euro fällt fünfmal so viel an. Die Höchstbeitragsgrundlage liegt aktuell bei 6450 Euro brutto. Bis zur Geringfügigkeitsgrenze (551,10 Euro) müssen hingegen keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlt werden, unfall- oder berufskrankheitsbedingte Leistungen kann man dennoch beziehen.



„Dieses System schafft einen starken Anreiz zur Teilzeitarbeit, weil man sich mit geringen Beiträgen in das volle Leistungsspektrum der Sozialversicherung sowie Wohnbauförderung und AK einkaufen kann“, sagt Helmenstein. „Es ist ethisch nicht vertretbar, bei medizinischen Leistungen Abstriche zu machen, das geht nicht“, bekräftigt der Ökonom, „deswegen braucht es einen anderen Zugang.“ Das könne etwa ein einkommensunabhängiger Fixbetrag pro Kopf sein wie in der Schweiz, das sei das am stärksten regressive Modell. Heruntergebrochen heißt das: mehr verdienen, prozentual weniger abgeben.



Rumänisches Modell

Noch besser gefällt Helmenstein aber das rumänische Modell. Dort dient der monatliche Mindestlohn bei Vollzeitbeschäftigung als Bezugsgröße, um den Mindestbeitrag zur Sozialversicherung zu bemessen: „Beschäftigte, die aufgrund einer Teilzeitbeschäftigung lediglich den halben monatlichen Mindestlohn verdienen, entrichten dennoch den vollen, auf den Mindestlohn bezogenen Beitrag zur Sozialversicherung“, erklärt Helmenstein. Dadurch entstehe keine Lücke in den Leistungen, aber Leute hätten keinen Anreiz, etwa nur zwölf Stunden arbeiten zu gehen.



Laut Helmenstein hätte das drei Vorteile für den Standort: Die Arbeitsstunden und somit das Leistungsvolumen steigen, wenn gleiche Bedingungen herrschen. Das Beitragsaufkommen nimmt überproportional zu. Drittens könne das höhere Beitragsaufkommen verwendet werden, um die Beiträge aller Beschäftigten abzusenken, was die Lohnnebenkosten senken und die heimische Wettbewerbsfähigkeit stärken würde.



Sozialpolitisch fragwürdig

Anders sieht das der Arbeitsmarktexperte Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien: „Es ist mir nicht klar, warum eine solche Steuererhöhung im unteren Einkommensbereich zu steigendem Arbeitsangebot führen sollte. Die erwarteten positiven Effekte würden sich nur dann ergeben, wenn Leute überhaupt nur Teilzeit arbeiten, weil Vollzeit durch hohe Abgaben unattraktiv ist.“ Der Vorschlag sei auch aus sozialpolitischer Sicht fragwürdig. Selbst bei Vorschlägen wie der Kopfpauschale, wo jeder den gleichen Betrag zahle, werde üblicherweise ein Ausgleich für ärmere Menschen eingeplant. „Eine regressive Ausgestaltung der Sozialversicherungsbeiträge belastet einkommensschwache Personen überdurchschnittlich“, sagt Hofer.



Die AK kritisiert die Vorschläge, weil sie dem Grundgedanken der Sozialversicherung widersprächen – einem System, das auf Solidarität basiere: Gesunde helfen Kranken, Junge helfen Alten, Reiche helfen Ärmeren. „Die Höhe der Versicherungsbeiträge wird nach der Höhe des Einkommens und nicht nach dem zu versichernden Risiko bemessen“, sagt AK-Sozialversicherungsexpertin Monika Weissensteiner. Bei manchen Leistungen wie etwa dem Krankengeld bekomme man außerdem mehr, wenn man mehr einzahle. „Zudem werden in manchen Branchen vor allem Teilzeitdienstverhältnisse von Unternehmen angeboten, um flexibler zu bleiben und sich Zuschläge zu ersparen.“



Nur in einem Punkt sind sich alle einig: Es braucht bessere Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, aber auch für ältere Menschen. Letzteres werde bei einer alternden Bevölkerung immer wichtiger. Ohne bessere Betreuung ist gegen eine hohe Teilzeitquote nur schwer anzukommen. (Andreas Danzer, 29.4.2025)